Lernende und Lehrende in Halberstadt sorgen sich um die Weiterführung des erfolgreichen Programms Warum Schulsozialarbeit so wichtig ist

Schulsozialarbeit ist aus dem schulischen Leben nicht wegzudenken. Doch trotz aller Erfolge ist unklar, wie sie in Sachsen-Anhalt weitergeführt werden kann. Schüler, Lehrer und Eltern der Europaschule „Am Gröpertor“ sind besorgt und fordern eine Weiterführung.

Es sind vor allem Schüler, die um die Notwendigkeit der Schulsozialarbeit wissen. Vor dem Hintergrund des Wegfalls der EU-Förderung und bislang noch ausstehender Entscheidungen in Magdeburg zur Zukunft der Schulsozialarbeit hatte eine Gruppe der Europaschule „Am Gröpertor“ am 24. Juni die Landtagsabgeordnete Monika Hohmann (Die Linke) auf dem Halberstädter Fischmarkt angesprochen. „Es war eine sehr emotionale Begegnung“, erinnerte sich die Politikerin, die damals einen Besuch zusagte und ihr Versprechen jetzt einlöste.
„Schulsozialarbeit ist ganz wichtig“, warf Leonie Michelle Haupt am Beginn der zunächst kleinen Gesprächsrunde im Schulleiterzimmer ein. „Wir wissen aus dem Alltag, dass manche Schüler zuhause keine Anerkennung bekommen, manche wollen und können ihre Eltern nicht belasten. Ihnen fehlt jemand, der Gesprächspartner ist, der ihre Sorgen und Probleme kennt und sie ernst nimmt. Schulsozialarbeit ist da eine sehr gute Alternative“, unterstrich sie und bescheinigte Schulsozialarbeiterin Sandra Spormann eine sehr gute Arbeit.
Dem stimmte Schulleiter Björn Ahlsleben zu: „Jeden Tag ist sie gleich am Morgen im Schulhaus unterwegs. Sie weiß, was zu tun ist, sie kennt die Schwerpunkte. Sie hat einen guten Draht zu den Schülern.“ Er nennt sie Vertrauensperson, Krisenmanagerin und Streitschlichterin. Sie stärke die Beziehungen zwischen Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften und wirke bei Bedarf als Vermittler inetwa zu Beratungsstellen.
„Unverzichtbar“, fasste er mit einem Wort zusammen. Das sieht Lehrer Jörg Wenske nicht anders: „Sie kümmert sich und leistet so vieles, was wir nicht leisten können.“ Dabei hat Sandra Spormann noch viel größere Ansprüche an die Qualität ihrer Arbeit. Sie sagte: „Bei 430 Schülern wäre eigentlich Verstärkung nötig.“
Und weiter: „Allein ist es längst nicht mehr zu schaffen. Ich weiß aber nicht, was ich wegfallen lassen sollte. Allein ein Beratungsverlauf ist erfahrungsgemäß unter zehn Stunden nicht zu leisten. Er muss aber sein, wenn man Erfolg haben will.“
Monika Hohmann kennt die Probleme an den Schulen des Landes und weiß, welch wichtigen Beitrag Schulsozialarbeit täglich leistet. Nicht nur, weil sie selbst 30 Jahre im Schuldienst war und deshalb über eigene Erfahrungen verfügt. Mit offenen Augen und Ohren unterwegs, erfährt sie genau wie diesmal an der Gröpertorschule, wo der Schuh drückt.
„Schule ohne Sozialarbeit, das mögen sich weder Schüler, Lehrer und Eltern vorstellen. Deshalb werde ich nicht müde, das Thema immer wieder auf die Tagesordnung des Bildungsausschusses zu heben, dem ich vorstehe. Aktuell sind es zwei dringende Anträge zur Schulsozialarbeit, die unbedingt behandelt werden müssen. Einer wird schon seit 2016 immer wieder verschoben.“ Die Landesregierung habe sich zwar dazu bekannt, die Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt zu erhalten.
Doch fehle nach wie vor das von Bildungsminister Marco Tullner (CDU) zugesagte Konzept, das auch finanziell untersetzt werden muss. Es sei so vieles noch unklar, berichtete Monika Hohmann. Es stelle sich unter anderem die Frage, was passiert, wenn 400 der doppelt soviel erforderlichen Stellen bewilligt werden.
Behalten die bisherigen Schulsozialarbeiter ihren Job oder gibt es ein Auswahlverfahren oder werden nur dort welche beschäftigt, wo die Lage am schwierigsten ist? Vor diesem Hintergrund und einer möglichen befristeten Tätigkeit, hätten Schulsozialarbeiter keine Perspektive. Es gebe schon Abwanderungen in andere Bundesländer.
Hinzu komme, dass der Bildungsminister zwar den Bedarf beim Finanzminister angemeldet hat, doch nur für den Doppelhaushalt 2020/2021. Wie solle es danach weiter gehen ?
Diese Unklarheiten ärgern die Linke-Politikerin sehr. Sie sagte:„Ich bin sehr ungehalten, dass nichts passiert und das Land einfach nicht aus den Puschen kommt. Wir können doch nicht aufgeben, was in mühevoller Kleinarbeit über Jahre aufgebaut wurde.“ An den Schulen werde eine wertvolle Schulsozialarbeit geleistet, unterstrich sie. Deshalb mache es Sinn, die gleiche Person für mehrere Jahre einzusetzen, denn sie verfüge über Erfahrungen, Kontakte, habe Vertrauen aufgebaut.
Bevor es in die zweite Gesprächsrunde ging, demonstrierte Monika Hohmann in einer zehnten Klasse, dass sie genauso mit Leib und Seele Lehrerin wie Politikerin ist. Die Schülerinnen und Schüler durften zwischen einer Fragestunde oder einem Rollenspiel wählen. Sie zogen letzteres vor und schlüpften in die Rollen von Politikern der im Halberstädter Stadtparlament vertretenden Parteien, die sich dem Thema „Ein neuer Jugendklub“ widmeten. Dabei lernten die jungen Leute ein wenig, wie parlamentarische Arbeit funktioniert. Um deren weitere Neugier zu wecken, lud Monika Hohmann die Klasse zu einer Sitzung im Landtag ein.
An der zweiten Gesprächsrunde nahmen sechs Schüler, zwei Lehrerinnen und der Schulleiter teil. Dort unterstrich Juliet Walter, dass die Schulsozialarbeiterin Ansprechpartner für alle mögliche Dinge sei, worüber jemand nicht mit Eltern, Lehrern oder Freunden reden kann oder möchte. Man könne mit Frau Spormann über alles sprechen, ihr sogar Geheimnisse anvertrauen im Wissen, dass sie diese für sich behält. „Man kann mit mit allem zu ihr kommen, sie ist immer für uns da.“
„Ich hätte nie die Zeit aufbringen und mich um die Probleme und oft sehr persönlichen Dinge der Schüler kümmern können“, bekannte Lehrerin Cathleen Radecke-Lehmann. Und: „Mit ihr funktioniert das bestens. Sie ist Vertrauensperson, trägt zur Verbesserung des Schulklimas sowie schulischer Leistungen und sozialer Kompetenzen bei. Sie hat so tolle Ideen. Zum Beispiel den vor Jahren eingerichteten Mädchentreff am Dienstag, auf den die Schülerinnen sich freuen.“
„Es gibt so viele Einflüsse, die heutzutage auf die Schüler wirken. Auch Probleme in den Familien haben zugenommen“, sagte Lehrerin Sabine Schlüter. Da bräuchten die Kinder und Jugendlichen einen Ansprechpartner, der sich Zeit nimmt, ihnen zuhört und hilft. „Als Lehrer müssen wir uns um so viele andere Dinge kümmern. Und so sind wir froh, Frau Spormann an der Schule zu haben, denn sie hilft uns ebenso und zeigt auch mal einen anderen Weg auf.“
Es gebe Situationen, da komme man an einen Schüler nicht ran. Der öffne sich niemandem. Sie aber schaffe das. Sabine Schlüter: „Wir schätzen ihr Engagement, ihre Kompetenz, Erfahrungen und Verbindungen. Ich denke, nicht nur Schüler brauchen die Schulsozialarbeit, auch für die Lehrer ist sie sehr wichtig.“ Außerdem: „Man sollte sie aber nicht allein an Schulabschlüssen festmachen, denn sie ist für so vieles mehr unverzichtbar.“
Der Besuch in Halberstadt bestätige die Erfahrungen, die sie an anderen Orten gesammelt habe. Die Meinungen der Schüler und ihrer Lehrer seien außerordentlich wichtig für ihre Arbeit, sagte Monika Hohmann. In Magdeburg werde sie sich weiter dafür stark machen, dass die Zukunft der Schulsozialarbeit gesichert wird. Die Politikerin: „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und all unsere Forderungen finanziell untersetzt. Nach wie vor fehlt aber das Konzept für die dauerhafte Verankerung der Schulsozialarbeit im Land.“ Das sei längst fällig, denn am 26. September solle im Landtag die Entscheidung fallen, wie es mit der Schulsozialarbeit in Sachsen-Anhalt weitergeht und ob das Land die Finanzierung komplett übernimmt.
Träger der Schulsozialarbeit an der Gröpertorschule ist das Diakonische Werk im Kirchenkreis Halberstadt. Sie wird derzeit mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert.

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